Professionelles Fallverstehen

Wintersemester 2020 / 2021 Professionelles Fallverstehen

Online-Seminar WS 2020/2021:

Professionelles Fallverstehen in Beratung, Therapie, Coaching und ähnlichen Interventionsformen

Donnerstag, 18.00 bis 20.00 Uhr, Beginn (voraussichtlich) 05.11.2020, Teilnehmer/innen: 45
SOZ-MA-3, SOZ-MA-8, SOZ-BA-SP, SOZ10-BA-SP, SOZ10-BA-S2

Fallverstehen wird zurecht als besondere Kunstform bezeichnet. Dabei bedeutet Verstehen erst einmal eine Alltagskompetenz. Die Beantwortung der Frage „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman 1980) setzt wenigstens ein Minimum der kognitiven Fähigkeit voraus, sich bei Bedarf und Anlass ein Erlebnis oder Ereignis zum „Fall“ von Beobachtung und Reflexion, von Klärung und Erklärung, zu machen.

Als professionelle Praxis charakterisiert hermeneutisches Fallverstehen Tätigkeiten, die es mit stets individuellen Phänomenen zu tun haben, weiterhin mit individualisierenden Entscheidungen. Der „Fall“ bedeutet dabei stets eine Individualform des Allgemeinen. Eine sozialpädagogische Intervention in einem schwierigen Jugendhilfefall, zum Beispiel ein Sorgerechtsentzug, setzt eingehendes Fallverstehen voraus, u.a. zur Fundierung, (Selbst)Reflexion, ggf. auch zur nachträglichen Legitimation, von fallbezogenen Entscheidungen. Die Lehrerin, die Eltern in einem Beratungsgespräch das Aufsuchen einer Erziehungsberatungsstelle empfiehlt, weil der Sohn im Unterricht über längere Zeit hinweg stark unruhig, unkonzentriert und bedrückt erscheint, hat eine bestimmte, wie auch immer intuitiv gefasste „Idee“ über das, was der „Fall“ sein könnte – vielleicht denkt sie an A(D)HS oder bestimmte Ängste, vielleicht an Schwierigkeiten in der Elternbeziehung, etwa eine aktuelle Trennungskrise, oder eine Traumatisierung.

Dazu kommt ein weiteres Element, das die zwei zitierten Beispiele bereits zeigen: Im Kontext pädagogischer, psychosozialer und therapeutischer Bemühungen spielt die unmittelbare, lebendige, einzigartig-einmalige Begegnung eine das Verstehen leitende Rolle. Die phänomenologischen Begriffe „Begegnung“ und „Beziehung“ stehen dafür kennzeichnend. Bei der Lehrerin geht es um die besondere Beziehung zu diesem Schüler und diesen Eltern. Die in der Begegnung gemachten vielschichtigen Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke sind von grundlegender Bedeutung für die schließlich formulierte Empfehlung „Erziehungsberatungsstelle“. Im Hinblick auf den Bereich der Paar- und Familientherapie haben Rosemarie Welter-Enderlin und Bruno Hildenbrand dieses Zusammenspiel „Fallverstehen in der Begegnung“ genannt – und es als widersprüchliche Einheit konzeptualisiert.

Auf welchen Wegen lernt man eine solche Praxis? Wie fundieren professionell Handelnde ihre fallspezifischen Entscheidungen? Welche Rolle spielt dabei wissenschaftliches Wissen einerseits, die Kompetenz zu Dialog und Begegnung andererseits? Wie interagieren Intuition und Reflexion? Welche Bedeutung kommt regelgeleitenten Verfahren der Praxis- und Selbstreflexion zu (Fallbesprechung, Supervision, Selbsterfahrung)? Fallverstehen gestaltet sich durchgängig als mehrschichtiges Verfahren systematischer Kommunikationsreflexion. Welche Bedeutung hat die Institution – in unseren Beispielen die Institutionen Jugendamt und Schule? Ich gehe davon aus, dass der institutionelle Kontext eine entscheidende Größe im Prozess des Fallverstehens, seiner Ziele, Möglichkeiten und Grenzen, darstellt.

Das Seminar soll unterschiedliche Bereiche soziale Bereiche behandeln. Fallverstehen als Einzelfall- und Familienarbeit in der Pädagogik, in der Arbeit mit und in Organisationen, in Teams, Fallverstehen im Dienst von Beratung, Therapie, Coaching, Meditation, Organisationsentwicklung – und natürlich von Forschung.

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